11. JUNI 2025
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GEWALT
Was ist Gewalt und wie kannst du dich davor schützen?

Darum geht’s
Ani (18): «Ich war im Ausgang und habe zu viel getrunken. Ein Freund hatte Sex mit mir. Weil ich zu betrunken war, konnte ich nicht klar nein sagen.» Tobias, (15): «Meine Eltern sagen mir immer wieder, dass ich nichts kann und dass sie es bereuen, dass sie mich bekommen haben.» Lisa (16): «Meine beste Freundin will, dass ich nur mit ihr etwas unternehme. Wenn ich mal mit anderen etwas mache, redet sie tagelang nicht mehr mit mir.» Luca, (13): «Wenn mein Vater wütend auf mich ist, reisst er mich an den Haaren. Dabei ist es auch schon vorgekommen, dass ich gestürzt bin und mich verletzt habe.» Diese Beispiele aus der Beratung zeigen, wie verschieden Gewalt daherkommen kann und dass sie nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist.
Was ist Gewalt? ⚡️
Als Gewalt werden alle Handlungen bezeichnet, die Schäden an Personen, Gegenständen oder in der Natur verursachen. Gewalt hat viele Gesichter:
- Gewalt kann physisch (körperlich) oder psychisch (seelisch) sein.
- Gewalt kann sich gegen Lebewesen (Menschen, Tiere, Pflanzen) oder Dinge (Sachbeschädigung, Diebstahl) richten.
- Gewalt kann gegen andere oder gegen sich selbst ausgeübt werden.
- Gewalt kann in der realen Welt oder online stattfinden.
- Gewalt kann von fremden, aber auch von vertrauten Personen kommen.
- Es gibt auch strukturelle Gewalt. Diese erfolgt durch den Staat oder andere Institutionen, die bestimmte Personen ausschliessen oder diskriminieren, etwa aufgrund ihrer Herkunft (Rassismus) oder ihres Geschlechts (Sexismus).
Gewalt kann sich über längere Zeit anbahnen und sich steigern, aber sie kann auch plötzlich, ohne Ankündigung ausbrechen. Ein Warnzeichen von kurz bevorstehender oder erfolgter Gewalt kann ein ungutes Gefühl sein. Das ist eine Art innere Alarmglocke, die erklingt, wenn eine Grenze überschritten wird. Das ungute Gefühl kann sich auch als Gefühlschaos, Angst, Verwirrung, Hilfslosigkeit, Trauer, Lähmung (Freezing), Fluchtgedanken oder Kampfgedanken/Aggressionen äussern. Du darfst diesem unguten Gefühl vertrauen und versuchen, dich in Sicherheit zu bringen. Es ist jedoch nicht dein Fehler, wenn du das Gefühl nicht wahrnimmst und die Gewalt nicht verhindern kannst oder es nicht schaffst, dich in Sicherheit zu bringen.
Gewalt ist immer eine Form von Grenzüberschreitung. Du kannst lernen, Grenzen zu setzen und deine Grenzen zu verteidigen und zu schützen. Die Verantwortung für die Gewalt liegt jedoch immer bei der gewaltausübenden Person.
Gewalt und Macht ✋
Gewalt kommt oft bei ungleichen Machtverhältnissen vor, also von stärkeren, älteren und/oder sozial höher gestellten Personen gegenüber schwächeren, jüngeren und/oder sozial tiefer gestellten Person; oft besteht auch ein Abhängigkeitsverhältnis. Menschen in Machtpositionen können zum Beispiel deine Eltern, Lehrpersonen, Trainerinnen, Chefinnen, Polizist*innen, Sozialarbeitende oder politisch tätige Personen sein.
Aber auch eine Person, die gleich alt ist wie du, kann Macht über dich haben. Zum Beispiel, wenn du emotional abhängig bist von dieser Person. Abhängigkeit wird manchmal ausgenutzt. In so einer Situation ist es wichtig, auf unstimmige Gefühle zu achten und mit anderen über das Verhältnis zu reden.
Körperliche Gewalt, psychische Gewalt und sexualisierte Gewalt 🚦
Die am häufigsten vorkommenden Arten von Gewalt lassen sich unterteilen in drei Formen: körperliche, psychische (seelische, emotionale) und sexualisierte Gewalt.
Physische (körperliche) Gewalt ist ein Übergriff auf den Körper einer anderen Person: durch Schläge (mit der Hand oder einem Gegenstand), Schütteln, Ohrfeigen, Stossen, Treten, Boxen, an den Haaren Ziehen, mit dem Kopf gegen die Wand Schlagen, Verbrennen (zum Beispiel mit Zigaretten), Beissen, Würgen usw. Auch Zwangsheirat kann als körperliche Gewalt gelten. , ebenso natürlich jeder Einsatz von Waffen. Körperliche Gewalt kann zwischen fremden Personen vorkommen, doch oft passiert sie zwischen Freund*innen, Liebenden oder in der Familie. Gewalt ist nie okay, auch wenn es «nur» um eine Ohrfeige geht!
Psychische (seelische) Gewalt ist teilweise gut erkennbar: Anschreien oder Beschimpfen etwa sind zwei «laute» Formen von seelischer Gewalt. Psychische Gewalt kommt aber oft «still» daher. Denn auch jemanden zu ignorieren, zu manipulieren oder zu kontrollieren ist ein Übergriff. Psychische Gewalt kann, besonders wenn sie immer wieder erfolgt, die Betroffenen lebenslang negativ prägen. Leider ist psychische Gewalt weit verbreitet, gerade auch in Familien (mehr zu toxisches Verhalten in der Familie) – also dort, wo eigentlich ein «Safe Space» sein sollte.
Psychische Gewalt kann sich folgendermassen zeigen:
- Gezieltes Demütigen, Beleidigen, Blossstellen, Beschimpfen, Verachten, Angstmachen, Drohen oder Erpressen
- Verbale Aggression, ständige Kritik oder Manipulation
- Gefühle, Bedürfnisse und Meinungen werden nicht akzeptiert
- Mobbing oder Cybermobbing
- Ausgrenzung, Liebesentzug und Vernachlässigung z.B. durch Eltern
- Toxisches Verhalten in der Familie oder in toxischen Liebesbeziehung
- Miterleben von häuslicher Gewalt (zum Beispiel vom Vater gegenüber der Mutter)
- Stalking (wiederholtes Verfolgen oder Belästigen einer Person)
- Benachteiligung aufgrund von Nationalität, Gender, Religion, Hautfarbe, Aussehen, Kleidung. Behinderung oder sozialer Herkunft
Sexualisierte Gewalt liegt vor, wenn jemand dich gegen deinen Willen zu einer sexuellen Handlung zwingt oder drängt, sei es durch Überreden, Drohen, Manipulieren (emotionale Erpressung), Alkoholkonsum, K.O Tropfen oder körperliche Gewalt. Dies sind Beispiele von sexualisierter Gewalt:
- unerwünschte Berührungen
- unerwünschte sexuelle Handlungen
- Nötigung, zum Beispiel Nacktfotos verlangen
- Verbreiten/Veröffentlichen von Nacktfotos/-filmen
- Nacktes zur Schau stellen und Masturbation in der Öffentlichkeit
- sexuelle Erniedrigung
- sexistisches Blossstellen
- Vergewaltigung
- Förderung von Prostitution usw.
Sexualisierte Gewalt geschieht besonders oft zwischen sich nahestehenden Personen. Bei über der Hälfte der polizeilich erfassten Fälle kennen sich Opfer und Täter: Sie stehen/standen in einer Liebesbeziehung zueinander, sind verwandt, befreundet, Schulkolleginnen oder Arbeitskolleginnen.
👉 Erfahre mehr über sexuelle Gewalt und wo du Hilfe bekommst.
👉 So kannst du Freund*innen unterstützen, die sexuelle Gewalt erleben.
Sexuelle oder sexualisierte Gewalt? 🤔
Im Alltag ist meistens von sexueller Belästigung oder sexueller Gewalt die Rede. Fachpersonen sprechen jedoch von sexualisierter Gewalt, weil dabei die Gewalt im Vordergrund steht und nicht der sexuelle Aspekt.
Anzeichen von Gewalt bei anderen erkennen 🚨
Die Beispiele zeigen: Gewalt zu erkennen ist nicht immer einfach. Noch schwieriger als Gewalt gegenüber sich selbst zu erkennen, kann es sein, Gewalt bei anderen zu erkennen. Bei körperlicher Gewalt gibt es zwar oft sichtbare Anzeichen wie beispielsweise blaue Flecken, Schürfungen, Wunden oder Prellungen. Manchmal schämen sich die Betroffenen aber für die erlebte Gewalt und finden Ausreden für die Verletzungen. Weitere Anzeichen von Gewalt können sein:
- Die Person wirkt bedrückt und zieht sich zurück.
- Die Person geht Fragen zu ihrem Befinden aus dem Weg.
- Die Person wirkt gereizt und wütend.
- Die Person ist überfordert, hat Panikattacken.
- Die Person verhält sich selbstverletzend (Ritzen, übermässiger Tabak- und Alkoholkonsum, ungeschützter Sex etc.) oder spricht von Suizid.
Wenn du von einer dir nahestehenden Person erfährst, dass sie Gewalt erlebt, kannst du ihr anbieten, sie zu einer Opferhilfestelle zu begleiten oder zusammen bei 147 anzurufen. Es ist nicht an dir, Anzeige zu erstatten! Die Fachpersonen der Opferhilfe werden euch zu allen weiteren Schritten beraten.
Tipps für den Umgang mit Gewalt 💪
Was tun, wenn du mit Gewalt konfrontiert bist?
- Höre auf ungute Gefühle («innere Alarmglocke»).
- Benenne Dinge beim Namen. Sprich übergriffiges Verhalten klar an. Sage, dass du dieses nicht tolerierst und dass du willst, dass deine Grenzen gewahrt werden.
- Setze Grenzen, sag laut und deutlich Stopp.
- Vermeide brenzlige Situationen. Versuche, die Gefahr zu umgehen.
- Lass dich nicht auf Provokationen ein, bringe dich in Sicherheit.
- In akuter Gewaltsituation: Notruf bei der Polizei (117)!
- Beende Beziehungen und Freundschaften, in denen du Gewalt erlebst. Das ist einfacher gesagt, als getan: Es ist oftmals sehr schwierig, sich von einer nahestehenden Person zu lösen, auch wenn diese sich übergriffig verhält.
- Sprich über erlebte Gewalt: mit deinen Eltern, Geschwistern, anderen Verwandten, Freund*innen oder anderen Vertrauenspersonen.
- **Wende dich an Fachpersonen:**beispielsweise die Schulsozialarbeit, den schulpsychologischer Dienst oder die Jugendberatungsstelle. Gerne kannst du dich auch bei uns melden: 147 berät dich per Telefon, E-Mail oder WhatsApp.