8. DEZEMBER 2025
|
GEWALT
Gewalt gegen Frauen – bist du betroffen?

Das Wichtigste in Kürze: 👇
- Gewalt gegen Frauen erkennen
- Dein Recht auf Unversehrtheit und wie du es wahrst
- Was tun, wenn es trotzdem passiert?
- Die Sache mit der Scham und der Schuld
- Tipps, wie du dich schützen kannst
Alle unsere Texte entstehen in enger Zusammenarbeit mit Beratenden von 147.
Du bist eine junge Frau, hast Gewalt erlebt oder bist noch immer Übergriffen ausgesetzt und weisst nicht, was du tun sollst? Dann ist dieser Text für dich. Denn so wie dir geht es vielen Frauen, bereits ab Jugendalter. In der Schweiz erlebt jede dritte Frau Gewalt – dazu gehören sexuelle und körperliche Übergriffe, aber auch psychische Grenzverletzungen wie Belästigung, Kontrolle oder Abwertung. Gewalt zu erkennen, ist nicht immer einfach, vor allem wenn sie in der Familie, in der Schule oder in der Beziehung passiert. Hier erfährst du mehr dazu.
Die vielen Gesichter von Gewalt
Gewalt hat viele Gesichter. Manchmal kommt sie im Deckmantel elterlicher Liebe daher («Ich meine es nur gut mit dir.»), manchmal verkleidet sie sich als Witz («Hey, das war doch Spass, sei nicht so empfindlich!»), manchmal ist sie als zärtliche Fürsorge getarnt («Ich kontrolliere dich nur, um dich zu beschützen.») oder bei Stalking als grosse Liebe («Ich kann nicht ohne dich sein.»).
Benita (alle Namen geändert) erlebt häusliche Gewalt durch ihre Eltern: Sie wird ins Zimmer eingesperrt, tagelang ignoriert, dann wieder angeschrien und geschubst. Ihr Bruder ist das Lieblingskind der Eltern, nur er macht alles richtig. Sie sagt: «Manchmal möchte ich sterben.»
Katy wird von Ben, mit dem sie seit vier Monaten zusammen ist, ständig kontrolliert. «Ich darf kaum mehr etwas allein unternehmen, muss ihm immer meinen Standort schicken und mein Handy zeigen.»
Jessi berichtet von Catcalling: «Ein Mann hat mir nachgepfiffen und mir zugerufen, ich solle mich auf seinen Schoss setzen. Iiii, das war mir so unangenehm. Ich bin weggerannt. Jetzt habe ich Angst, dass er weiss, wo ich wohne.»
Ein Angriff auf deine Grenzen
Was alle Formen von Gewalt gemeinsam haben: Sie überschreiten deine persönliche Grenze – psychisch, körperlich oder sexuell. Und dazu hat niemand das Recht. Du aber hast, wie jeder Mensch, das Recht auf Unversehrtheit, auch im sexuellen Bereich. Das ist gesetzlich verankert. Und verboten ist, was du nicht willst: Lies hier, was damit gemeint ist.
Wo deine Grenze liegt, entscheidest du.
Vertraue auf dein Bauchgefühl. Es teilt dir zuverlässig mit, wenn du dich unwohl fühlst.
❌Es ist nicht okay, wenn jemand dich
... ohne deine Zustimmung berührt.
... beleidigt oder benachteiligt.
... zu etwas zwingt, das du nicht willst.
... verfolgt, kontrolliert, beobachtet.
... mit Schweigen bestraft.
... mit Worten und/oder Gesten sexuell belästigt.
... immer wieder mobbt.
... psychisch oder körperlich verletzt.
Was tun, wenn es trotzdem passiert?
Zeige die rote Flagge, sag STOPP und schütze deine Grenze. Auch wenn es der grosszügige Onkel, der nette Nachbar oder die eigene Mutter ist.
Wenn es dir noch nicht gelingt, in der Situation Stopp zu sagen, ist das völlig okay. Falls du unsicher bist, wie du vorgehen sollst: Hol dir Hilfe, lass dich beraten.
Texte uns per WhatsApp, schicke uns ein Mail oder ruf an: Was du erzählst, ist vertraulich. Wir besprechen mit dir zusammen, was jetzt am meisten helfen könnte.
Auch die Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz sind für dich da. Manchmal tut es schon gut, mit jemandem darüber zu reden.
So viele junge Frauen bei Opferhilfestellen wie noch nie
Noch nie haben so viele minderjährige Frauen den Rat der Opferhilfestellen gesucht wie 2024 – wegen Belästigung, Nötigung, Körperverletzung oder sexueller Gewalt.
51547 Beratungen leisteten die Opferhilfestellen in der Schweiz. Das ist ein Anstieg von 5 Prozent.
73 Prozent der Hilfesuchenden waren weiblich.
18 Prozent waren zum Zeitpunkt der Beratung unter 18 Jahre alt.
78 Prozent der Täter waren Männer.
Es ist nicht deine Schuld❗
«Du hättest halt nicht so kurze Shorts anziehen sollen!» «Wärst du pünktlich zu Hause gewesen, hätte es keine Ohrfeige gegeben.» «Du hast mich provoziert, da habe ich nur noch Rot gesehen.» «Wer nicht hören will, muss fühlen!» «Das kommt davon, wenn du mir ständig widersprichst!»
Das Zuschieben von Schuld ist Teil der Grenzüberschreitung und kommt leider oft vor. Wenn ein Mensch deine Grenzen überschreitet und dir die Schuld dafür zuschieben möchte, ist das nicht in Ordnung. Denn jede Person muss für ihr eigenes Handeln und ihr eigenes Verhalten die Verantwortung selbst übernehmen. Dich trifft dabei keine Schuld und du bist auch nicht für das Verhalten von anderen verantwortlich. Lass dich von Schuldzuweisungen nicht verunsichern. Nichts rechtfertigt Gewalt – weder Unpünktlichkeit noch Widerrede noch dein Outfit.
Möglicherweise erlebst du Schamgefühle. Oder du bist wütend auf dich selbst, weil du nicht so reagiert hast, wie du es dir wünschen würdest. Auch damit bist du nicht allein. Nala geht es ebenso, sie ärgert sich: «Ich war wie erstarrt, konnte mich überhaupt nicht wehren. Warum habe ich nichts getan?» Dabei ist das Erstarren in einer solchen Situation eine ganz normale menschliche Reaktion. Und auch die Scham ist verständlich, besonders nach sexuellen Übergriffen: Niemand möchte gerne Opfer sein. Das ist keine attraktive Rolle. Doch die Scham muss die Seite wechseln. Schämen müssen sich die Menschen, die deine Grenzen nicht respektieren.
Warum sind so oft Frauen das Opfer?
Dafür gibt es viele Gründe. Frauen sind oft körperlich schwächer als Männer. Früher war es ganz normal, dass Männer für ihre Frauen entschieden haben. Erst seit 1971 dürfen Frauen in der Schweiz auf Bundesebene wählen und abstimmen. Bis heute werden Mädchen zum Teil anders sozialisiert als Jungs: Sie sollen still, beherrscht und folgsam sein. Ist ein junger Mann aggressiv und wild, wird er als kraftvoll und durchsetzungsstark bezeichnet. Junge Frauen hingegen bekommen zu hören, sie seien unbeherrscht, zickig oder schlecht gelaunt. In manchen Schichten gelten Frauen nach wie vor als das schwache Geschlecht. Es gibt Männer, die überzeugt sind, dass sie über Frauen generell – und erst recht über ihre Freundin, ihre Schwester, ihre Frau – bestimmen dürfen.
Pornografie verstärkt dieses Bild. Frei zugängliche pornografische Filme zeigen Frauen und Mädchen, die anscheinend jederzeit alles heiss finden, was der Mann wünscht, und keine Tabus kennen. So entstehen Vorstellungen, die wenig mit der Realität zu tun haben. All das beeinflusst, wie Mädchen und Frauen in einer Gesellschaft wahrgenommen und behandelt werden.
Tipps: So schützt du dich vor Gewalt
- Ein Selbstverteidigungskurs gibt Sicherheit.
- Bei Übergriffen draussen: Sei laut, ruf «Stopp!», mach auf dich aufmerksam, hole andere Leute zu Hilfe.
- Bei Belästigungen in Zug, Bus oder Tram: Wechsle sofort den Platz, setze dich zu anderen, bleibe nicht allein. Bitte andere um Hilfe oder ruf jemanden an.
- Telefoniere mit jemandem, wenn du allein unterwegs bist, teile den Standort mit einer Freundin oder den Eltern und achte auf die Körperhaltung: Geh zügig auf ein Ziel vor dir zu, mit erhobenem Kopf.
- Bevor du ausgehst: Überlege und plane, wie du nach Hause kommst, zum Beispiel indem du dich abholen lässt von einer Vertrauensperson oder deinen Eltern oder auch ein Taxi nimmst. Vielleicht kann dich jemand begleiten? Wähle einen belebten Weg, auch wenn du dadurch länger unterwegs bist.
- Bei häuslicher Gewalt: Vertraue dich jemandem an, hole dir Unterstützung, lasse dich professionell beraten, auch online und anonym (siehe Box unten).
- Achte auf deine Grenzen und höre auf dein Bauchgefühl – auch in einer Beziehung.
- Übe, klar «Nein!» zu sagen. Zunächst bei kleinen Dingen.
- Dein Bauchgefühl ist dein Kompass: Wenn du nicht zu 100 Prozent überzeugt bist oder dir etwas zu schnell geht, sag Nein. Auch wenn dein Gegenüber alles tut, um dich zu überzeugen.
- Sei dein Lieblingsmensch und unterstütze dich selbst. Sag dir selbst, dass du gut bist, genau so, wie du bist.